Ausbildungen als Autoschlosser, Physiker, Theaterregisseur, entsprechende berufliche Erfahrungen mit periodisch wechselnden "Nieder!" und "Hoch!"- Zurufen, gelegentlichem Applaus und ein weder durch gutes Zureden noch durch Gewaltandrohung abzuschaffender Eigensinn haben eine bunte Biographie hervorgebracht. Dabei bleibe ich noch eine Weile.
…das verlässliche Wunder eines jeden Jahres, weil die Bilder nie dieselben sind, die Freude sich nie verliert, darf dieser Text Ritual sein:
Blütenwunder
Die Veilchen haben sich vor meine Tür geschlichen
Des nachts, und niemand hörte ihren leisen Schritt.
Sie brachten ihre lila Träume mit
Ein Blütenlächeln, dem all meine Sorgen wichen
Und jene Hoffnung, die wir ewig nennen
Die jedem Frühling seine Blüten schafft
Mit flüchtigster und unbezwungener Kraft
Und liebestrunken, dass die Nächte brennen.
Von diesem Gedicht gibt es zwei Fassungen – vielleicht auch für andere Autoren interessant, sie zu vergleichen. Die erste stammt aus der Mitte der 80er Jahre, die zweite schrieb ich zwanzig Jahre danach.
Herzogin oder nur Mätresse? – Eine tödliche Alternative
Verlässliche Quellen über die Herkunft von Agnes Bernauer gibt es nicht, sehr wahrscheinlich gelang ihr der Sprung aus einem Augsburger Badehaus ins Bett des zukünftigen Herzogs Albrecht III. von Bayern. Vielleicht stimmt es sogar, dass sie von dem verliebten Adligen geehelicht wurde. Ganz sicher aber war diese Liaison Albrechts Vater, dem Herzog Ernst von Bayern, ein ebensolches Ärgernis wie dem ganzen Hof, und ebenso sicher fanden sich genügend Komplizen für einen brutalen Mord aus Staatsräson: Am 12. Oktober 1435 wurde Agnes Bernauer in Straubing von einem Folterknecht ertränkt. Mein „Zeitwort“ auf SWR 2 weist auf diese Geschichte, ihr literarisches Echo und Carl Orffs Oper „Die Bernauerin“ hin.
Aktualisierung am 17. Juli 2020: Für alle, die’s im Radio verpasst haben, hier der Text:
Musik: Ausschnitt aus Carl Orff „Die Bernauerin“
So gefühlvoll singt Albrecht der III., Sohn der bayerischen Herzogs, dass seine Liebste zu träumen meint …
Agnes: „Tua mi net aufweck’n“
Nicht aufgeweckt werden möchte Agnes Bernauer, Tochter eines Augsburger Baders aus dem Liebestraum, der in der Badstube begann. Dort war sie dem Thronfolger zu Diensten – ein besserer Hurenjob. Albrecht III. aber verliebte sich in das schöne Kind und nahm es direkt mit an den Hof nach München. Carl Orff komponierte 500 Jahre danach seine Oper „Die Bernauerin“.
Sichere Quellen über Geburt und Herkunft der Schönen gibt es nicht, allein dass „die Pernawin“ 1428 zum Hofstaat gehörte, ist durch eine Steuerliste belegt. Sich Konkubinen zu halten war auch beim Bayerischen Hochadel nichts Besonderes, manche Mätresse brachte es zu politischem Einfluss. An Agnes Bernauer ist ungewöhnlich, dass Albrecht III. das Mädchen sogar ehelichte oder zumindest die Ehe versprach.
Die Liaison erregte nicht nur den Zorn von Albrechts Vater, Herzog Ernst, sondern auch den seiner Schwester, Beatrix, Pfalzgräfin von Neumarkt. Dass sich Albrecht weigerte, standesgemäß zu heiraten, stattdessen lieber mit einer Buhle zusammenlebte, die sich obendrein selbstbewusst wie eine Fürstengattin gab, beschäftigte wohl ganz München; eine Bürgersfrau, die „Aicherin“, wurde wegen einer Unterschriftensammlung – ob für oder gegen die Bernauerin ist nicht bekannt – für zwölf Tage eingesperrt.
Dutzende Historiker und Schriftsteller hat das Schicksal der unglücklichen Schönen bis heute umgetrieben. Soviel ist sicher: Herzog Ernst ließ sie in Abwesenheit seines Sohnes verhaften, verurteilen und töten – ohne aktenkundige Gerichtsverhandlung. Ein Folterknecht warf sie in Straubing in die Donau, drückte sie mit einer Stange so lange unter Wasser, bis sie ertrank.
Carl Orff hat das schaurige Geschehen in seiner Oper „Die Bernauerin“ von Gaffern kommentieren lassen:
Sprechgesang: „Jetzt druckt er auf d‘ Stangen … jetzt kommt’s nimmer hoch.“
Der Auftragsmord brachte Albrecht so gegen den Vater auf, dass er sich für einige Monate dem verfeindeten Herzog Ludwig VII. von Ingolstadt anschloss. Ob das Gewissen oder die Sorge um die Erbfolge den alten Herzog trieben, für Agnes Bernauer 1436 eine eigene Kapelle auf dem Straubinger Friedhof St. Peter einrichten zu lassen, weiß niemand – Albrecht III. söhnte sich mit dem Vater jedenfalls aus, heiratete im November 1436 standesgemäß und ist für die Literatur eigentlich nur als Geliebter der Bernauerin von Interesse.
Schon Anfang des 19. Jahrhunderts pilgerten Touristen zur Kapelle in Straubing – böse Zungen nennen sie den einzigen Grund für einen Besuch dieser Stadt. Allerlei Gerüchte und Legenden kamen in Umlauf, König Ludwig I. widmete Agnes ein Gedicht, Friedrich Hebbel schuf 1852 mit seinem Drama „Agnes Bernauer“ einen Höhepunkt zahlloser literarischer Arbeiten zum Thema.
Auch im 20. Jahrhundert beschäftigten sich Historiker, Dramatiker, Erzähler mit der Tragödie; Carl Orffs Oper „Die Bernauerin“ aus dem Jahr 1947 ragt zweifellos heraus, aber sie ist schwer aufzuführen, daher greifen die alle vier Jahre ausgerichteten Festspiele in Straubing und Vohburg auf laientaugliche Bühnenstücke zurück. Neue Versionen und Abwandlungen sind gewiss, denn diesem Stoff ergeht es wie allen Aschenputtel-Geschichten: er ist „einfach nicht totzukriegen“ – im Gegensatz zu seiner Heldin.
Als wollte sie uns zum Abschied die schönsten Tage dieses Sommers schenken: Am 17. August ist meine Mutter im gesegneten Alter von 85 Jahren eingeschlafen. Ihre Texte und Bilder bleiben.
Gerade eben hattest Du mich auf dem Arm
Und Du standest an dem Kinderbett
Während ich als kleiner Häwelmann –
Nachthemd aufgespannt am großen Zeh als Segel –
Fuhr zum Mond mit meinem Schwesterlein
Gerade eben waren wir noch klein.
Gerade eben zündest Du die Kerzen an
Weihnachtslichter machen uns die Träume hell
Und das Glöckchen schallt – war’s nicht grad eben?
Schlug nicht gerade noch die alte Uhr?
Schlug sie uns nicht frohe Stunden nur?
Ist so lange her – ein ganzes Leben.
Gerade eben hattest Du mich auf den Knien
Und den alten Messekatalog dazu
Mit sehr großen M und großem A
Und so lernte ich bei Dir das Lesen.
Auch im fernen China geht es los mit „MA“.
Auch im fernen China werden Köpfe grau
Und vergangene Jahre werden zu Geschichten
Die Maler malen und die Dichter dichten.
Kinder verlassen ihre Ma, aus Schwesterlein wird Frau.
Und wär’n doch manchmal gerne wieder klein gewesen.
Nach so viel Jahren schaut man dann zurück
Und wundert sich, wie schnell die Zeit vergangen
Dabei hat’s gerade eben angefangen
Das achtzig Jahre lange Lebensglück
Aus Glauben, Hoffen, Lieben und Entbehren.
Du inszeniertest Dir Dein eigenes Stück
Mit Narren für den Spaß, mit Feinden, Dich zu wehren
Dein Kopf ward grau: du konntest uns was lehren.
Nun gingst Du fort, sehr still und ohne Klagen.
Du ließest uns Dein allerletztes Bild.
Da sahen wir: Dein Da-Sein war erfüllt.
Und wir gedenken Dein an hellen Sommertagen.
Frühlingsnacht. Die Fledermaus Flattert im dämmrigen Hof. Kellerluft und Straßenbraus Treiben sie aus gärenden Wipfeln Falter taumelt zum Schwof Zu Lampen und Blüten Zum süßen Verein Taumelt in mein Fenster herein. Frühlingsnacht. Die Fledermaus Irrt im dämmrigen Hof. Lautloser Tanz, unhörbarer Schrei Unbemerkt ist ein Leben vorbei Zwischen Lampen und Blüten Gab den Falter ich frei Zu seinem letzten Schwof. Das Fenster ist offen. Im süßen Verein Treiben und taumeln wir zwei.
Währungsspekulanten gibt’s nur im Kapitalismus, klar. Das weiß der Sozialist. Gustav Horbel, Physikstudent, wurde vor Weihnachten 1969 mitten im Sozialismus eines anderen belehrt – er glaubt seither alles Mögliche, aber nicht mehr an Knecht Ruprecht, selbst wenn er in Gestalt von La Wafonknecht erscheint.
Text aus „Babels Berg“, Teil 2 der Romantrilogie „Wolkenzüge“
Helden und Heldinnen des “Raketenschirms” leben in Plattenbauten in Thüringen, in Luxusvillen zwischen Tel Aviv und Baden-Baden, in Kasernen der Nationalen Volksarmee direkt neben deren Raketenbasen, in einstürzenden Altbauten im Prenzlauer Berg, Ostberlin. Der Raketenschirm trägt den Autor durch die Zeiten, sein Treibstoff sind Erinnerung und Phantasie. Immer wieder einmal braucht er eine Zwischenlandung zum Auftanken: ein guter Ort dafür ist Udo Grashoffs Buch übers Schwarzwohnen in der DDR. Ich empfehle es, nicht nur weil’s den Recherchetank gefüllt hat.
“Ruinen schaffen ohne Waffen” war die sarkastische Verballhornung einer seit 1978 von der Friedensbewegung in Ost und West gebrauchten Losung. Sie stellte die heuchlerische Friedenspose des SED-Staats ebenso bloß wie dessen Wohnungsbauprogramm, das Regale aus Beton in gesichtslose Vororte klotzte, während historische Innenstädte verrotteten – eines der Indizien für den unabwendbaren wirtschaftlichen und politischen Bankrott des realen Sozialismus.
Eine schöne Ironie liegt darin, dass ausgerechnet in den abrissreifen Buden von Erfurt, Jena, Leipzig, Halle, Berlin und Rostock die Keime des Neuen heranreiften: Zu selbständigem Handeln entschlossene Leute unterschiedlicher Herkunft und Altersstufen sagten dem System der organisierten Verantwortungslosigkeit den Kampf an und zogen ein in den “Leerstand”, “schwarz”, also ohne die vorgeschriebene Zuweisung durchs Wohnungsamt. Anders als bei den fast gleichzeitig im Westen stattfindenden Hausbesetzungen verbanden sie damit nur ausnahmsweise politische Absichten, nicht selten genügte aber derart ungeplantes, eigenmächtiges Vorgehen, die “Organe”, einschließlich Polizei und Stasi auf den Plan zu rufen, es wurde spätestens dann politisch, wenn unangepasste Kunstaktionen, Punkertreffen oder Zusammenkünfte von Umwelt- und Friedensgruppen in den jenseits der Planwirtschaft ausgebauten Unterkünften stattfanden.
Eine Ironie ist das insofern, als Marx meinte “neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind.” Nun entwickelte sich unter den “Schwarzwohnern” im Schoß des vermeintlich dem Bürgertum überlegenen Sozialismus nicht mehr und nicht weniger als eine Bürgergesellschaft. Freilich überlebten die meisten dieser Selbsthilfe-Unternehmen den Zustrom westlicher Immobilienverwerter nach dem Untergang der DDR nicht – dafür überleben Altstädte und Baudenkmäler, während die Plattenbauten verschwinden.
Udo Grashoff hat schon mit seinem Buch “In einem Anfall von Depression…“ über Selbsttötungen in der DDR eine lesenswerte, kenntnisreiche Arbeit zum Verständnis sowohl des Alltags wie der politischen Entwicklungen daselbst vorgelegt. “Schwarzwohnen” setzt diese ganz eigene Form der Dokumentation fort. Sie ist weniger auf Daten und Statistik aus – eine solche Untersuchung wäre mangels verlässlicher Unterlagen wohl auch kaum möglich – als auf die Befragung von Zeitzeugen, auf das Zusammentragen von Fotos und Protokollen. Er vergleicht nebenher Ähnlichkeiten und Unterschiede zu westlichen Hausbesetzern seit den 70er bis zu den 90er Jahren. Es kommen erstaunliche Ideen und Schicksale ans Licht, es ist vieles zu erfahren, was in offiziellen Darstellungen der DDR-Geschichte fehlt. Ich habe mich mit Vergnügen dieser Exkursion in die einstürzenden Altbauten meiner Jugend angeschlossen.
Das Buch gehört zur Schriftenreihe des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung und ist bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienen. Paperback, 200 Seiten, 19,90 €
Wie’s die Arbeit am „Raketenschirm“ mit sich bringt, tauchen Tagebuchnotizen und Gedichte aus jener Zeit auf, da an Publikation nicht zu denken war. Dem folgenden eignet ein Hauch Aktualität …
(24.3.1986)
Die große Medienglocke dröhnt
feilgeil, geilfeil, feilgeil, geilfeil
unsere Münder stumm aufzu
kein Laut gegens Gedröhn
die Bewegung selbst schon im Rhythmus
in uns der leise Zynismus
subkutane Ideologie: gib zu deine Ohnmacht
Beweis deines Unrechts
du bist allein.
Millionen Fliegen steigen auf gesättigt
matt Scheiben glänzen Augurengesichter
die Glocke tönt besinnungslos
tonlos der Schrei der Vernunft.
Am Mittwochabend stellte sich der Baldreit-Stipendiat Catalin Dorian Florescu den Baden-Badenern im Spiegelfoyer des Theaters vor. Sympathien erwarb er sich vor allem durch seine ehrliche und unprätentiöse Art, von der Arbeit des Schreibens zu sprechen, von der „Selbstbeauftragung“ als Risiko und Privileg eines Da-Seins, das nicht fremden Zielen nachjagen muss, sondern sich der eigenen Bestimmung in der Welt zu vergewissern sucht, indem es sich intensivstem Erleben mit anderen Menschen ausliefert.
Als Anlass fürs Nachdenken über den Beruf reichte ein wackeliger Tisch.
„Mein Tisch wackelt eigentlich immer“, meinte Catalin. Dass das Vertrauen auf vermeintlich sicheren Boden unter den Füßen sich selten einstellen will, ist eine für Autoren so alltägliche wie unerlässliche Erfahrung: die Angst, dem Anspruch ans Schreiben nicht zu genügen, das Publikum nicht zu erreichen, ist immer da. Dass nur wenige Schriftsteller von ihrer Arbeit auskömmlich leben – es sind nicht einmal die Besten – hat aber Catalins Entscheidungen zum Schreiben ebensowenig infrage gestellt wie meine.
Der gebürtige Rumäne und der Thüringer teilen – trotz des Altersunterschiedes von 17 Jahren – noch eine spezielle Ansicht: die Verantwortung fürs eigene Denken und Tun lassen wir uns von totalitärer Staatsgewalt so wenig nehmen wie vom Konformitätsdruck des Quotenwahns.
Dafür durfte ich heute wieder für zwei Stunden einfach um die Bäderstadt herumwandern, tief Luft holen und mich daran freuen, wie sogar der November schön ist.