Unterwerfung

Hervorgehoben

Wer seine Aufmerksamkeit von den Szenarien der „Klimarettung“ löst und sich mit realen Gefahren dieser Welt befasst, stößt auf beunruhigende ungelöste – womöglich unlösbare? – Konflikte. Ein zusätzlicher Blick in die Geschichte verdeutlicht, dass sie fast jederzeit in Kriege übergehen können, deren Verlauf und Ende Klimaszenarien erledigt. Was sagt die Erfahrung?

Die Eiapopeia- und Grusel-„Narrative“ allgegenwärtiger Quotenmaschinen lügen darüber hinweg. Sie vertrauen auf das Gewohnheitstier im Menschen, sie beschäftigen es mit Krimi, Sport und Talkshows rund um die Uhr, sie „framen“ Informationen passend zu ihrer selbstgewissen „Haltung“ und rechnen sich diese Form verblödenden sozialen „Hausfriedens“ als moralisches Verdienst an, für den jeder zahlungspflichtig ist.

Das funktioniert, weil kaum irgendwer sich nach Konflikten sehnt, fast alle sich aber gern im Fernsehen, Kino, im Buch oder Videospiel mitleidend den Verfolgten als Hüter der Gerechtigkeit gesellen, schadenfroh das Böse unterliegen sehen. Für die meisten sind Krieg, Spucken und Schläge ins Gesicht, Vergewaltigung, Raub, Einbruch in die eigene Wohnung fern ihres realen Erlebens. Sie arbeiten sich daran emotional in virtuellen Räumen lesend, zuschauend oder -hörend, Killer-spielend oder in den Scharmützeln der Social Media ab: Sie haben das alles jederzeit unter Kontrolle, so genießen sie den Kitzel der Angstlust. Falls sie bei facebook oder twitter unter verbalen Beschuss geraten, gar in einen „Shitstorm“, erwacht jäh der Wunsch, diesen Gegner auch unter Kontrolle zu bekommen. Es gibt Organisationen, die ihnen beizustehen versprechen, natürlich bieten sich – fürsorglich – der Staat und die Quotenmaschinen an.

Inzwischen dringen allerdings die weltweit brennenden Konflikte ins reale Leben ein. Das Vertrauen der Vielen in eine staatliche Ordnung, die sich das Gewaltmonopol vorbehält, wird erschüttert, wenn sie außerstande ist, es durchzusetzen. Polizisten sind längst permanent ebenso überfordert wie Staatsanwälte und Gerichte. Derweil blüht das Geschäft von Anwälten, die soziale Benachteiligung, kulturellen (religiösen) Hintergrund, persönliche Traumatisierung ihrer kriminellen Klientel wortreich zu deren Verteidigung ins Feld führen. Der Rechtsstaat kapituliert in immer mehr Fällen vor der schieren Masse notwendiger gerichtsfester Ermittlungen.

Es gibt ihn ohnehin nur noch auf dem Papier, weil mindestens ein großer Teil der Justiz nicht mehr unabhängig, sondern in ideologischen Zwangsjacken herrschender Parteien operiert. Diese Parteien aber sind nicht auf das Gemeinwohl fixiert (sofern sie es je waren), sondern auf ihre Machtimpulse. Nur die Konkurrenz mit anderen Parteien zwänge sie, über Grundwerte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Versammlungsfreiheit oder die der Berufsausübung und die Freiheit von Wissenschaft und Kunst nachzudenken. Nur Konkurrenz zwänge sie, Freiräume und Widerstände zuzulassen. Ist eine solche Konkurrenz erkennbar? In meinen Augen nicht.

Im Einparteiensystem der DDR waren Alternativen eliminiert, die „GroKo“ lässt, anhand der Aktivitäten zur Zensur im Internet und zur Ermächtigung nichtstaatlicher Korporationen erkennen, wohin sie steuert. Der BND, der Verfassungsschutz mögen demokratischer Kontrolle unterliegen – eine wachsende Zahl von mit Steuern finanzierten und von Parteien oder NGO gesteuerten politischen Korporationen sind längst unkontrollierbar. Und sie zeigen erstaunlichen Ehrgeiz, unliebsame Meinungen im bislang unkontrollierten Internet zu unterdrücken. Sie wollen eine außerstaatliche Zensur, sie wollen unangreifbar werden wie Öffentlich-Rechtliche Anstalten, deren Quotenfixierung, Versorgungsmonopol und Finanzgebaren seit langem ihren grundgesetzlichen Auftrag zur Farce werden lässt.

Sie alle haben ihre Wirklichkeiten: Die Parteiführer, die Medienchefs, die Mitläufer, die wütenden Gegenspieler von der linken, rechten, feministischen, Gender-, Islam-, Irgendwiefundi-, Veganerfront. In diesen Wirklichkeiten werden genau jene realen Konfliktfelder ausgeblendet, für die sie keine Konzepte und Strategien haben. Die Realität aber hat eine unendlich scharfe, harte und unausweichliche Kante. Sie scheidet Wollen von Erfahrung, Wahnideen von Wissen.

Werbung

Kapitel 2 (1)

Titel von "Der menschliche Kosmos"

Erstausgabe, 2006 im Salier Verlag Leipzig erschienen

Dieses Buch muss fortwährend überarbeitet werden – mit diesem Vorsatz wurde es geschrieben, daran ist nicht zu zweifeln, ebensowenig an seiner fortwirkenden Brisanz im Ganzen. Bücher wie “Affenmärchen – Arbeit frei von Lack und Leder” lassen das ebenso deutlich werden wie Stellungnahmen von vielen anderen zu dringend notwendigen Veränderungen der gesamten Arbeitsorganisation.
Da der “Kosmos” in einigen grundlegenden Fragen dem Verständnis brennender Konflikte in unserer immer kleiner werdenden Welt dient, in deutschen Medien gleichwohl wenig mehr zu hören ist als das Geräusch der Gebetsmühlen, stelle ich einige Texte gratis zur Diskussion. Das Vorwort ist bereits online.

Kapitel 2

Die Erschaffung des An-Gestell-ten
Die „Verwertung“ der Persönlichkeit. Alte und neue Existenzängste. Wie Menschen zu Kugelschreibern werden.

Der einzelne Mensch ist ein Nichts. Sieben Milliarden Menschen leben inzwischen auf der Erde. Bilder wie das eines Sandkorns in der Wüste oder eines Tropfens im Ozean sind schnell gezeichnet. Die Erfahrung von Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit des Einzelnen ist in unserem Jahrhundert allgegenwärtig, nicht nur in den Massenheeren und -morden, auch in der Arbeitswelt und der bürokratischen Verwaltungsmaschinerie. Der Einzelne erscheint aus der Zeitperspektive ebenso mikrobenhaft: seine Lebensspanne ist winzig – gemessen an der Geschichte des Kosmos, ja selbst der Gattung.
Das Leben hat ein Mittel gegen die zahlenmäßige, „quantitative“ Bedeutungslosigkeit, gegen damit verbundene Ängste, gegen das Gefühl der Ohnmacht: das Individuum kann in einem Metasystem, einem Sozialgebilde aufgehoben sein – z.B. in einer Herde oder in einem Bienenstaat. Die Zugehörigkeit zu einem Metasystem hilft dem Einzelnen, zu erlangen, wessen er bedarf und schützt ihn vor Verlusten. In sozialen Verbänden werden die Möglichkeiten der Individuen nicht einfach addiert, sondern innerhalb eines neuen Organismus vernetzt. Strategien entstehen, die über die individuellen weit hinaus reichen. Sie folgen dennoch nicht beliebigen Mustern, sondern den charakteristischen, genetisch angelegten, die nach innen und außen interagieren. Die Zugehörigkeit zum Sozialgebilde hat ihren Preis: der Einzelne muss mit den Bewegungsmustern des Metasystems zurechtkommen und Rollenzuweisungen hinnehmen – z.B. die eines Angestellten.
Der einzelne Mensch ist alles. Jede Geburt verändert die Welt. Sie ist unentbehrlicher Teil jenes Prozesses, der aus Möglichem Wirkliches werden lässt, und seit die Betrachtung komplexer dynamischer Systeme uns belehrt, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in der sibirischen Taiga über Beginn und Verlauf eines Hurrikans in Mittelamerika entscheiden kann, müssen wir die Bewegungen eines Individuums mit anderen Augen sehen. In seiner einzigartigen Erbinformation erscheint zugleich die gesamte Entwicklungsgeschichte eingefaltet und bisweilen gewinnt das Handeln eines einzelnen Menschen überragende Dimension, wenn er in die Rolle z.B. eines Diktators oder Attentäters hineinwächst – oder auch in die eines Künstlers.
Handelnd und sich verändernd gestaltet der Einzelne sich selbst und seine Umgebung. Aus dem „Genotyp“ wächst der „Phänotyp“, dessen eigentümliches Sein das Sein der Welt notwendig mit definiert. Für den Einzelnen spricht nicht die Quantität, sondern die Qualität.
Der Markt vermittelt. Denn der Einzelne muss sich ernähren, wohnen, gesund erhalten. Der Markt bietet ihm, was er nicht selbst schaffen kann und verlangt etwas dafür: Geld, den großen Gleichmacher, das universelle Maß für jeden Gegenstand von der Kartoffel bis zum Kernkraftwerk und jede Leistung vom Schuhe putzen bis zur Herzoperation.
Im Geld verschwindet aber zugleich jede Eigenart es quantifiziert alles. Selbst Beziehungen zwischen Menschen kann es die Eigenart austreiben: Es bleiben käufliche Dienste übrig, bei denen egal ist, wer sie nutzt oder erbringt. Anderseits kann der Einzelne seine Existenz nicht auf Qualitäten aufbauen, die am Markt nicht gefragt sind.

Fortsetzung: Kapitel 2 (2)

Opas Tabakspfeifen (2)

Zurück zu Teil 1

Bei Wilhelm Busch experimentiert Krischan mit Vaters Pfeife

Bei Wilhelm Busch experimentiert Krischan mit Vaters Pfeife

Ich muss etwa zwölf, dreizehn Jahre alt gewesen sein, als mir die Großmutter vorschlug, ihr bei der Pflege des damals achtzigjährigen Onkel Walter zu helfen. Ich sollte ihm mittels eines elektrischen Trockenrasierers alle drei Tage den Bart abnehmen. Meine Mutter war in dem „Volkseigenen Betrieb“ beschäftigt, der diese Apparate namens „Komet“ herstellte, einer davon wurde zu günstigen Konditionen erworben, ich lernte die Faltengebirge im Gesicht meines Onkels kennen, während ich mit oszillierenden Stahlkämmen durch weiße Bartstoppeln wanderte. Ich tat es nicht gern, aber es brachte mir 50 Pfennige ein, genug für Eiswaffeln – die Kugel kostete seinerzeit einen Groschen – und der Aufenthalt beim Onkel beförderte das Interesse am Rauch. Opas Pfeifen, leider vor allem die aus feinem, aber empfindlichen Meerschaum, waren fast alle frühkindlicher Lust am Auseinandernehmen erlegen. In einem unbeobachteten Moment füllte ich eine der überlebenden mit Zigarrenenden aus des Onkels Schachtel. Damit begab ich mich zu einem unbeobachteten Ort: dem Klo.

Die Tonleiter-Treppe im Weihnachtshaus kennen Sie ja schon. Auf dem Treppenabsatz – wir nannten ihn Podest – war die Tür zum „Klohäuschen“, einem Anbau ans 200 Jahre alte Fachwerk. Im Inneren durfte auf der Brille einer Sitzschüssel über einem Fallrohr Platz nehmen, wer seinen Darminhalt den Gesetzen der Schwerkraft anvertrauen wollte. Gelang es ihm, offenbarte das Geräusch aus der Tiefe den Sinn der Namensgebung fürs Häusel: Plumpsklo. Weitere Details erspare ich Ihnen. Strenge Winter wie vor 60 Jahren gibt es nicht mehr, Plumpsklos ebenso wenig, niemand muss mehr – wie meine Mutter seinerzeit – mit einem Eimer kochend heißen Wassers und einem mannshohen Knittel aus Buchenholz ein zugefrorenes Fallrohr freistochern.

Fachwerkhaus und Klo beim Abriss 1971

Fachwerkhaus und Klo beim Abriss 1971

Die Gravitationsgesetze gelten freilich noch in modernsten Sanitäranlagen, und – ob Sie‘s glauben oder nicht – in unserem alten Plumpshäusel war das Rauchen ebenso tabu wie heute in Flugzeug-, ICE- oder Behördentoiletten. Vermutlich lag das an Tante Martha, der Ehefrau von Onkel Walter. Sie war eine erbitterte Tabakfeindin. Zu ihren Lebzeiten hatte der Rentner niemals in der Wohnung rauchen dürfen. Er saß bei schönem Wetter auf einer Bank im Garten oder Hof, bei Regen und Dunkelheit bisweilen im Wirtshaus nebenan, öfter seinem Bruder Karl gegenüber am Schachbrett. Sie versuchten, sich gegenseitig matt zu setzen und meine Großmutter zu räuchern, aber die rheinische Frohnatur erwies sich als äußerst widerstandsfähig. Sie überlebte ihren Mann um vierzig, den Schwager um dreißig Jahre. Tante Martha war – ungeräuchert – lange vor ihrem Gemahl dahingeschieden, weshalb ich an seinen Bart und die abgeschnittenen Zigarrenenden kam. Sie verstehen jetzt auch den besonderen Reiz meiner Initiation als Pfeifenraucher auf dem Plumpsklo: Der Dreizehnjährige brach gleich zwei Tabus: Das Tabakverbot im allgemeinen und Tante Marthas Bann im besonderen.

Das erwies sich obendrein als Glücksfall: Als ich den ersten der schönen Meerschaumköpfe gestopft hatte, fiel mir ein Zeitungsfoto ins Auge. Sie müssen wissen, dass Toilettenrollen in uns geläufiger Form seinerzeit in der DDR unbekannt waren. Wir hatten die Wahl zwischen einer auf Rollen gewickelten Sorte von mittelfeinem grauem Schleifpapier, das nicht in ausreichender Menge produziert wurde, und rechteckig zugeschnittenen alten Zeitungen, die den Mangel überbrückten. Möglicherweise war diese Knappheit sogar von Partei- und Staatsführung gewünscht, weil viele Leute – so wie ich – die Zeitungen noch einmal in die Hand nahmen und lasen, ehe die „Organe des Zentralkomitees der SED“ oder der SED-Bezirksleitungen den Weg übers Hinterteil nach ganz unten antraten.

Ulbricht-Briefmarke, genannt "Grünes Ungeheuer"

Ulbricht-Briefmarke, genannt „Grünes Ungeheuer“

Jeder – bis hinauf ins Politbüro mit dem Ersten Sekretär und Staatsrats-Vorsitzenden an der Spitze – wusste von diesem Alltagsritual. Nur öffentlich darüber zu reden, war tabu. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Aber so leuchtete immerhin ein, warum die Herren der Planwirtschaft nicht alles daran setzten, den Frevel an ihren staatserhaltenden Publikationen zu unterbinden, indem sie mehr, gar bessere Klorollen produzieren ließen.

Jenes Foto also, das mich für einige Minuten hinderte, die Pipe zu entzünden, es zeigte ein bekanntes Gesicht, einen schnauzbärtigen Mann von etwa 50 im eleganten Dreiteiler mit Schlips und Kragen. Die rechte Hand schließt sich um einen Pfeifenkopf, die Pfeife im rechten Mundwinkel, schaut er mit verschmitzter Miene an der Kamera vorbei. Sein graues Haar wuselt um den Kopf herum, als habe eine Hexe es durchwühlt. Es ist ein Opa-Gesicht. Im Text unter dem Bild lese ich: „Vor 30 Jahren kehrte der berühmte Physiker und Nobelpreisträger Albert Einstein Nazi-Deutschland endgültig den Rücken. Heute gehört er zu den Verbündeten im Kampf gegen den Atomtod“. Der zugehörige Artikel handelte von einem Buch über ihn, das gerade erschienen war, aber das interessierte mich nicht.

Ich wusste in diesem Moment nur eines: Pfeife rauchen ist großartig. Nicht wegen des Kampfes gegen den Atomtod, sondern weil dieser berühmte Einstein so sympathisch war in seinem eleganten Anzug, mit der wilden grauen Mähne und den Lachfältchen um die Augen. Er war ganz anders als der Physiklehrer und Schuldirektor mit Spitznamen Giftzwerg, der auf den Zehenspitzen wippte, mit dem Zeigefinger fuchtelte, Tadel an Unaufmerksame verteilte, wenn er bei uns unterrichtete. Einstein war wie mein Opa, seine Augen waren neugierig und gütig. Ich hätte gern sofort mit ihm um die Wette Kringel produziert. Also setzte ich Onkel Walters Zigarrenreste in Brand.

Weiter zum Schluss 

Opas Tabakspfeifen (1)

OpasPfeife

Student in Stuttgart ca. 1906

Dass ich an Opas Tabakspfeifen geriet, war unvermeidlich. Sie hatten sein ganzes Leben lang zu ihm gehört, immer hatte er sich Tabak verschafft und geraucht, sogar in Kriegsgefangenschaft, in den Baracken eines Camps in der australischen Wüste. Das ist über hundert Jahre her. Mit dem Krieg traf er nur zusammen, weil 1914 ein britischer Kreuzer im Indischen Ozean das deutsche Handelsschiff „Rappenfels“ aufbrachte, in dessen Maschinenraum er als Ingenieur Dienst tat. Danach saß er 5 Jahre hinter Stacheldraht, weit genug weg vom Stacheldraht der Fronten und Schützengräben, er hatte Glück im Unglück. Viele seiner Mitgefangenen starben noch 1919 auf See an der spanischen Grippe, als sie auf einem heruntergekommenen russischen Dampfer namens „Kursk“ in die Heimat expediert wurden. Dort gab es für den Schiffsingenieur Karl keine Zukunft, denn die Handelsflotte hatten die Briten als Entschädigung übernommen.

Den zweiten Krieg überlebte er, zu alt und zu krank für den Heldentod, daheim in Thüringen. Aber er hatte von seinen früheren Seereisen außer einigen exotischen Pfeifen aus Ton, Meerschaum und Tropenholz das Fernweh mitgebracht. In Bücherschränken, auf Regalen, in Vitrinen standen die Blickfänge meiner kindlichen und jugendlichen Sehnsüchte: hauchdünnes Porzellan aus Japan, Buddhafiguren aus Singapur, ein Ebenholztisch aus Indien. Ein ausgestopfter Kugelfisch und ein Haifischgebiss waren von Hand beschriftet: „Madras 1911”.

Mit diesen geheimnisvollen Utensilien bin ich aufgewachsen. Kaum dass ich lesen konnte, verschlang ich „Köhlers Deutschen Flottenkalender”, von 1906 bis 1913 jährlich erschienen, ich bestaunte die Panzerkreuzer, bedauerte, dass diese Riesenschiffe, auf deren Decks sich Matrosen reihten, befehligt von würdig dreinblickenden Backenbärten über Uniformbrüsten voller Orden, dass all diese Pracht und Herrlichkeit mit dem Kaiserreich untergegangen war. Die deutschen Ingenieure – waren ihre Schiffe, Zeppeline, Automobile nicht die besten? Hatten sie nicht immer wieder Land und Leute emporgebracht, ganz nach vorn? Nur im Krieg hatten sie kein Glück – das beschäftigte den kaum Zehnjährigen. Was es damit auf sich hatte, erfuhr ich weder von der Mutter noch von der Großmutter; was letztlich entschieden hatte über Sieg oder Niederlage, blieb ein dunkles Geheimnis, blieb Pech, das an den Deutschen klebte, mit den Russen ins Land sickerte, die Thüringer Familie von den Verwandten im Westen isolierte und das Reden über Verlorenes, über Reisen, Freiheit und Fernweh in rigide politische Fesseln zwang.

Opa war längst tot und begraben, als ich lesen lernte, aber seine Tabakspfeifen waren übriggeblieben, ebenso wie die Zutaten: Tabaksbeutel, Tabaksdosen, Reinigungsgerät und ein bleiernes Gefäß mit bleiernem Deckel, um den Stoff zu pressen, aus dem der alte Mann die schönsten Kringel zauberte, wenn er eine der Pfeifen entzündete. Damit hatte er die Augen des Kindes zum Leuchten gebracht, als er es unterm Weihnachtsbaum auf dem Schoß hielt. Eigentlich nur ein einziges Mal, im Jahr vor seinem Tod und meinem dritten Geburtstag, 1953.

Dass einer sich an etwas erinnert, was vor dem dritten Geburtstag geschah, halten Entwicklungspsychologen für ausgeschlossen. Beschäftigten meine Phantasie also nur die herumliegenden Pfeifen und Utensilien, die Erzählungen und das sichtbare Beispiel meines Onkels, Karls Bruder, der ebenfalls rauchte, allerdings billige Zigarren? Deren abgeschnittene Enden hob er in einer Schachtel auf, um sie schließlich in der Pfeife zu rauchen. Ja, er war geizig, aber tolle Kringel produzieren konnte er auch.

Weiter mit Teil 2

Rezensent sein? – Lieber was empfehlen

Titel des Buches "Chef sein? - Lieber was bewegen!"Ja, ich bin voreingenommen, denn ich kenne und schätze Gebhard Borck seit Jahren, wir haben uns über seine Ideen lebhaft ausgetauscht. Ich bin also kein "neutraler" Kritiker, das Erscheinen dieses Buches hat mich sehr gefreut, ich wünsche ihm viele, viele Leser. Dem Vorhaben von Stefan Heiler, sich mit seinem Unternehmen im Wettbewerb am Markt ganz ohne “Führungskräfte” zu behaupten, dabei unkonventionell mit einem "Katalysator" namens Borck vorzugehen, gehört meine ganze Sympathie. Es ist ein mutiger Schritt, er hat sich gelohnt, und die ihn wagten, waren so oft am Rande des Scheiterns, dass einen auf über 300 Seiten niemals die Fragen loslassen “Schaffen sie ’s? Und wenn ja – wie?”.

Das liegt auch an der Erzählform. Die Sprache bleibt locker und gut verständlich, selbst wenn durchaus Fachwissen vermittelt wird – etwa an einen Nicht-Betriebswirt wie mich. Graphiken veranschaulichen gedankliche Abläufe und Prozesse im Unternehmen. Einen chronologischen Ablauf in einer Geschichte von Helden, die “per aspera ad astra” dem Sieg entgegen streben, gibt es nicht, stattdessen einen skizzenhaften Aufriss von Begebenheiten, vor allem Konfliktlagen. Sie erscheinen mal anekdotisch, mal als Dialog oder Gesprächsprotokoll, manchmal als lapidarer Bericht. Manche zeitliche Zuordnung mag sich der Leser selbst erschließen, er muss es nicht, um das Wesentliche am Geschehen zu begreifen: Wie bei der Alois Heiler GmbH in Waghäusel eine ganz neue Unternehmensform gelebt – bisweilen erlitten – wurde. Dabei haben alle Beteiligten, nicht nur die Autoren, "Denkwerkzeuge" entwickelt und erprobt, sie haben eine "Firmen-DNA" modelliert, von der andere vergleichbare Vorhaben einiges lernen können.

Zwischen dem Unternehmer Stephan Heiler und seinem Berater Gebhard Borck wuchs während dieses Prozesses eine schöpferische Freundschaft, wie sie sich einer wünscht: Beim Lesen wird deutlich, wie stark das Vertrauen in die Kompetenz und Verlässlichkeit des anderen ist. So etwas steckt durchaus an. Zugleich legten beide größten Wert auf die Transparenz aller Entscheidungen der jeweils Verantwortlichen – und das waren eben keine Chefs, Abteilungs-, Gruppen- oder sonstigen Leiter, sondern immer öfter die Mitarbeiter selbst, Männer und Frauen, die sich in neuen Rollen beweisen mussten – und durften. Keineswegs alle waren mit einer “Sinnkopplung” dauerhaft an derart eigenverantwortliches Handeln in vernetzten, nicht hierarchischen Teams zu binden. Viele verließen Heiler, darunter sehr kompetente. “Der Mensch ist ein Gewohnheitstier”, heißt es nicht von Ungefähr; lieb gewordene Muster und Rituale locken mit einem Gefühl von Sicherheit bei weniger Energieaufwand, womöglich besserer Bezahlung: Angepasst an den Mainstream lebt sich’s für viele komfortabler.

Das Buch ist eine durchaus vergnügliche Lektion übers Fragen, über Reibungen, Missverständnisse und Turbulenzen. Dass Klatsch und Tratsch auch bei diesem Beispiel von “New Work” unausrottbar bleiben, überrascht nicht, aber es macht Spaß, den Autoren bei diesem wie anderen "Fällen" aus ihrem Alltag über die Schulter zu schauen. Wer das – über das Buch hinaus –  tun möchte: Weblogs sowohl des Unternehmens Heiler als auch von Gebhard Borck bieten reichlich Informationen. Patentrezepte werden sich dort kaum finden lassen, dafür eine ermutigende Menge von Erfahrungen im Umgang mit Konflikten auf dem Weg in alternative Arbeitswelten.

Gebhard Borck, Stephan Heiler "Chef sein? Lieber was bewegen! – Warum wir keine Führungskräfte mehr brauchen", 304 Seiten, Heiler&Borck 2018

Vom Glück, nicht beachtet zu werden

Pieter Brueghel "Superbia" - der Hochmut

Der mechanische Wahn, der alles quantifiziert und sich die Welt zurecht-rechnet, zurecht-modelliert mittels digital inflationierter Statistik, ebnet den Unterschied, also die Qualität, im Dienste von Geldmaschinen oder politschen Superdominanzen – schlimmstenfalls im totalitären Staat – ein. Die Superdominanzen in seiner Gefolgschaft schillern inzwischen in allen ideologischen Tarnfarben – alle erweisen sich als zwiegeschlechtliche Frucht von Kapital und Religion oder Machtgier und Bigotterie oder … denk er sich jede moderne Verbindung jeder Sorte religiösen Irrsinns mit Habgier, Herrschsucht, Rachegelüsten, Schadenfreude etc. hinzu. Dem nicht als – mehr oder weniger williger – Gehherda ausgeliefert zu sein, ist höchstes Glück und köstlicher Tanz auf dem Ereignishorizont.

So weit, so gut. Mir hat es nichts ausgemacht, dass meine Bücher und Weblogs wenig beachtet wurden. Für mich waren sie der Garten, den ich zum Ende meines Lebens hin mit mir gefälligen Blüten bepflanzen wollte, öffentlich zugänglich, allfälligen Besuchern zum Vergnügen. Kritiker mit guten Ideen, wie manches zu beschneiden, zu erneuern wäre, sind darin willkommen. Der Wettkampf von Konzernen und Politbürokraten um die Weltherrschaft wollte es, dass die EU-Administration diese Art individueller Gärtnerei Regeln unterwerfen zu müssen meint, die Aufmerksamkeits-Monster wie Google, Microsoft, Amazon, Facebook etc. im Gebrauch von Nutzerdaten zügelt.

Es war zu lesen, dass Google 500 Mannjahre aufwenden musste, um den Anforderungen der DSGVO nachzukommen. Ein Blick auf die Dienste, die sich unterm Dach dieses Giganten sammeln, die dort auf komplexe Weise vernetzt sind, die einer wie ich gern gratis schon aus Neugier nutzt, lässt einen ahnen, welches Ausmaß solche Regelungswut erreicht. Und ich habe keine Ahnung, inwiefern ich womöglich durch ein dort gehostetes Weblog gegen irgendeine der mir kaum verständlichen Auflagen verstoße, was rührigen Fachleuten dank von schlauen Algorithmen geleisteter digitaler Nachforschungen gestattet, mich kostenpflichtig abzumahnen.

Vorsorglich habe ich also meine Weblogs bei blogger.com entöffentlicht – leider auch "kosmosmensch.blogspot. com", wo ich gratis Texte und deren Überarbeitung zu meinem Buch "Der menschliche Kosmos" zehn Jahre lang zugänglich machte.

An dieser Stelle sei ausdrücklich der Anwaltskanzlei Dr. Thomas Schwenke gedankt, die Bloggern wie mir einen Generator für die DSGVO-konforme Datenschutzerklärung online an die Hand gab: Bei WordPress.com gehostete Webauftritte können hoffentlich auf diese Weise weiterhin Teil des demokratischen Meinungsspektrums bleiben, ohne denunziert und von Profiteuren des Abmahngeschäfts zum Aufgeben gezwungen zu werden. In derlei juristischen Konstellationen bleibt einer freilich – wie auf hoher See – des Geschickes Mächten ausgeliefert. Sei’s drum: Der Schiffbruch ist seit je Lebensrisiko.

Abschiedswunsch zum Ewigkeits-Sonntag

IMG_20151101_140019_1Am letzten Sonntag des November – Erich Kästner lässt ihn im zugehörigen Monatsgedicht den Trauerflor tragen – gedenken wir der Verstorbenen und des Todes. Je älter ich werde, desto dankbarer bin ich für das Glück meiner Lebensjahre, für die liebsten Menschen, die Freunde, die Lehrer, die Hilfsbereiten. Hilfe kam nicht selten in Form von Konflikten. Ich musste mich entscheiden, Bauchlandungen waren unvermeidlich, ich durfte mich, um einiges klüger, aufrappeln. Die Häme derjenigen, die ihr Motto „Mir nützt, was anderen schadet“ nicht verhehlten, motivierte eher als sie mich demütigen konnte – Schadenfreude ist ein ebenso einseitiges wie kurzes Vergnügen. Trotzdem finden ganze Berufszweige gutes Auskommen, wenn sie die Leute damit beliefern: Sie ist ein Sozialritual wie die Jagd nach Sündenböcken, so etwas verkauft sich auf dem Medienmarkt immer.

Derlei Gedanken kommen beim Gang über den Friedhof, wo zwar Laubbläser und andere technische Hilfsmittel die Totenruhe wieder an den Achtstundentag anpassen, seitab der gärtnerischen Mühewaltungen aber das Leben in schönster Vielfalt triumphiert: Amsel, Drossel, Fink und Star, Rotkehlchen, Grasmücken, Meisen aller Art, Specht und Zaunkönig lassen von sich hören, Bäume und Blüten feiern ihre Jahreszeiten, mitten in lärmverschmutzten Großstädten darf sich das Herz der Stille öffnen. Dann wird daraus vielleicht ein

Abschiedswunsch

Das Jahr meines Todes sei sonnensatt.
Mögen Menschen trinken in vollen Zügen
Vom Licht, von der Lust, vom schieren Vergnügen
Vom duftenden Wald und der Kühle im Watt.
Wenn abends die Fische nach Süden fliegen
Wenn Frösche und Eulen die Sterne anbeten
Eltern beim Tanz ihre Kinder vertreten
Wenn Wein die Regie nimmt und Fleisch den Verstand
Wenn du mich liebst mit dem Rücken zur Wand
Wenn alle Monde sich uns vermählen
Wenn wir endlich am Ende sind mit dem Erzählen
Erlöst uns, versprich ’s mir, der letzte Kuss
Sei mein Universum, eine Welt ohne Muss
Du, meine Liebe, bist ohnegleichen
Das Jahr die Sekunde: ich muss dich erreichen.

IMG_20170704_142958_1

Wettlauf der Killer

20170518_BalkonLebenslang musste sich mein Körper mit Gästen beschäftigen. Auch mit sich selbst, und er hat das wunderbar gemacht. Ich darf sagen, dass ich ein Mordsglück mit ihm hatte, ihn mag und gern noch viele vergnügte Jahre mit ihm zubringen möchte. Nicht alle Gäste waren willkommen, manche hatten allzu eigennützige und besitzergreifende Absichten, dann mussten Arzt und Apotheker helfen, die lästigen Besucher loszuwerden. Niemals wird sich feststellen lassen, ob solche gewaltsamen Hinauswürfe – für zahllose Viren, Bakterien, Pilze endeten sie tödlich – nicht auch Schrammen im Organismus hinterließen, die langfristig meine Lebenszeit verkürzen, aber sei’s drum: Auch ohne Arznei war mein Körper in dieser Richtung allzeit wehrhaft, er erwarb Resistenzen, das Immunsystem hat eine Menge Probleme weggeschafft. Es hat weitgehend unbemerkt sogar Krebszellen entsorgt, viele, viele Jahre lang: Ein enormer Berg Arbeit, zahllose Lernprozesse, und jetzt, da das Leben sich immer mehr der Kategorie “Rest” zuordnen lassen muss, bin ich dafür aus tiefstem Herzen dankbar.

Mir ist klar, dass der treue alte Bursche – die Geräusche von Schultern, Knien, Sprunggelenken, Wirbeln etc. legen den Ausdruck „Knacker“ nahe – es immer schwerer haben wird, nicht nur die Attacken aus dem Mikrokosmos abzuwehren, er wird auch wachsende Müllberge seines Stoffwechsels schlechter bewältigen, wird hinnehmen, wenn sich in der reichlich strapazierten Außenhülle beulenförmige Nichtsnutze einquartieren, wird in den Verdauungskanälen unerwünschte Stoffe schwerer beherrschen, wegen mürber Nervenbahnen später und weniger zuverlässig reagieren, kurz: Er wird schwächer werden, verletzbarer, während die Schmarotzer an Zahl und Diversität zunehmen. Ihnen ist egal, dass sein Tod fast immer auch den ihren zur Folge hat – sein Ende ist gewiss. Nur der genaue Zeitpunkt und der Name dessen, der den entscheidenden Treffer setzt, bleiben im Dunkel, es sei denn, Gerichtsmediziner sind gehalten, behufs gerichtlicher Auswertung einen Killer namhaft zu machen. Dann ist das Rennen aber längst gelaufen.

Hier nun stellt sich die Frage, ob ich in diesen voll entbrannten Wettlauf der Killer eingreifen sollte, und – wenn ja – wie. Ganz einfach werden Sie sagen, gehen Sie zu einem Arzt, lassen Sie sich gründlich checken, tun Sie etwas gegen erkannte Probleme und leben Sie fortan gesundheitsbewusster. Ein paar Dinge sprechen dagegen:

  • „Wer als gesund gilt, ist nur nicht genau genug untersucht“, hat irgendwann ein abgeklärter Weiser des Medizinbetriebs gesagt, und das trifft mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu
  • Ärzte werden entweder reich, weil sie brillant sind – dann haben sie andere Patienten als ich es bin – oder reich,  weil sie nicht brillant, aber versiert im Umgang mit bürokratischen Verhältnissen und Geldmaschinen sind, dann könnte es sein, dass sie mich besonders genau untersuchen und manches behandlungsbedürftig finden, womit mein Körper ganz gut alleine zurechtkäme. Ich habe solche zum Glück kaum kennengelernt, aber es soll sie geben, anders ist das Wachstum von Kontrollmechanismen und der Gesundheitsbürokratie kaum erklärbar. Das Wort „Krebswachstum“ drängt sich auf. Ärzte schließlich, die brillant aber nicht reich sind, gelten als aussterbende Spezies. Ich verdanke ihnen viel, vor allem, weil sie erkannten, wann sie wirklich meinem Körper zu Hilfe kommen mussten. Sie haben ebenso wie die schlecht bezahlten Pflegeberufe ein Nachwuchsproblem.
  • Die Wissenschaft tappt bei einer auf die individuelle Biographie von Patienten zielenden Medizin noch weitgehend im Dunkeln, das ist kein Wunder, denn sie sprengt alle von der Bürokratie vorgegebenen Budgets. Wo sie es versucht – folgerichtig bei den größten Killern wie dem Krebs – werden Therapien schnell unbezahlbar. Nur sehr, sehr Reiche oder Mächtige dürfen also auf Heilung hoffen, wo Ärmere einfach sterben. Böse Kenner des Fürsorgestaates nennen das „sozialverträgliches Frühableben“.

Letzteres überlasse ich gern Leuten, die Anderen vorschreiben, wie sie gesundheitsverträglich zu leben haben, damit die Sozialkosten gedeckelt werden können. Ich kenne einige, die damit unerschütterliche Heilslehren für die Welt verbinden. In der Regel ist ihre eigene Versorgung mit ärztlichen Leistungen brillant. Ob ihre Lebensfreude größer ist als meine, sei dahingestellt – ich bin wieder bei meinem Körper und seiner Biographie voller Freuden und: Wunder!

Weniger ist es nicht, was in diesem Kosmos molekularen, mikrobiologischen, physiologischen, psychischen Geschehens im Laufe der Jahrzehnte ablief und jede Sekunde abläuft. Auf bis zu drei Kilogramm wird die Masse der Kleinstlebewesen veranschlagt, die unser Dasein jederzeit teilen. Und unter ihnen gibt es – wie überall sonst in der Welt – neben Fressen und gefressen Werden, neben Konkurrenz und Verdrängung auch Symbiosen, Lernprozesse, Anpassung und Integration. Helfen nicht manche Viren dem Immunsystem, neue Strategien zu entwickeln, ohne dass wir es merken? Vom Mikrokosmos genetischer und epigenetischer Dynamik ist so viel oder so wenig bekannt wie vom Universum. Der Wissenschaft gehen die Rätsel nicht aus, eher die Mittel. Zu beobachten ist, dass ihre Grenzen weniger vom Forscherdrang als von Geldmaschinen und Bürokratie gesetzt werden.

Die Lust am Spielen ist nicht gealtert

Seltsamerweise beunruhigt mich das umso weniger, je älter ich werde. Ich habe meinem wundertätigen Körper viel Auslauf gegeben, lustvoll drauflos gelebt, und die Naturwissenschaften haben mich gelehrt, dass die auf Sicherheit programmierte Mechanik von Geldmaschinen und Bürokratie, Planwirtschaft und Heilslehren es verdienen, radikal in Frage gestellt zu werden. Wenn ich Grenzen überschritt, erwies sich das meist als großes Glück, jedenfalls als unschätzbare Erfahrung. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, sagt Erich Kästner. Konflikte waren so unvermeidlich wie förderlich. Für den Rest meines Lebens werde ich also auf meinen Körper hören wie bisher, so wenig wie möglich Zeit in Wartezimmern, Krankenhäusern, Reha-Einrichtungen verbringen. Es sei denn, ich kann dort Menschen mit Literatur Vergnügen machen und sie ermutigen: Im Wettlauf mit den Killern, in der Beschränktheit des „Gesundheitswesens“.

Medienmut

Medusa_1895Die Bomben reißen Löcher in die Zeit.
Genüsslich schlürfen Kameras an Leidensmienen.
Die Journalistin fragt: „Wie geht es Ihnen?
Was fühlten Sie?“ Sie tritt so gerne breit.

So breit tritt sie die breitgelatschten Wege
So eng und dienstbeflissen ist ihr Blick
Zum letzten Dienstgespräch reicht er zurück
Zum letzten Lächeln ihres Chefs, zur Quotenpflege.

Und vor ihr liegt die Aussicht, ihren Namen
Genannt zu sehen und im Kreis zu sein
Der prominenten Medienherrn und –damen
Die da bestimmen über Sein und Schein.

So geht sie hin. Ihr Glauben ist ihr Wissen
Und zur Gesellschaft reicht ihr ihresgleichen.
Die größte Angst, im Meinen abzuweichen
Und – statt zu reden – etwas tun zu müssen.

August – vorbei

2012-08-08 19.23.00

Nie sah zuvor ich alle Zeit der Welt

So für den Augenblick zusammenschießen.

Der goldene Saum des Sommers streift den Herbst

Ein himmlisch kurzes, glühendes Entzücken

Zerteilt die Nacht und ist schon wieder fort

Ehe mein Glück den richtigen Wunsch gefunden

Der wäre: schenkt mir, kosmische Gewalten

Im gnädigen Wollen, das ich nie versteh

Recht viele solcher sanfter Sternenküsse

Und, wird es nächstens kalt, ein Kleid aus Schnee.