Klagelied der herrschenden Klasse (No Milk Today)


Titelcover das Romans "Blick vom Turm"

Es handelt sich um ein Spottgedicht auf die Ideologie der herrschenden Marxisten-Lennisten in der DDR. Der jugendliche Verfasser wäre 1968 mit (Staats-)Sicherheit im Knast gelandet. Vielleicht hätten ihn – wie’s im Roman „Blick vom Turm“ geschieht – die Genossen vom „Schild und Schwert der Partei“ erpresst, sich als „Informeller Mitarbeiter“ (IM) in Dienst nehmen zu lassen. Dann hätte er womöglich eines Tages sogar den „kleinen blauen Reisepass“ in den Westen bekommen. Aber wen interessiert sowas heute noch?

Heute kein Fleisch und morgen kein Papier,
fürs Klo nur das ND
am Arsch, das tut so weh.
Butter ist knapp und Auto ist aus Papp-
karton und PVC,
und eh ich eines seh,
muss ich zwölf Jahre in den VEB,
und keiner fragt mich, ob ich darauf steh.
Zwölf Jahre täglich mit dem Brigadier,
statt einer Braut im flotten Sportcoupé.

Heute kein Fleisch und niemals eine D-
Mark für den Intershop,
stattdessen Kohl im Topp.
Fernsehn schwarz-weiß, Klamotten einheitsgrau:
Ich bin ne arme Sau.
Das weiß ich ganz genau.
Doch Tag für Tag verkündet die Partei:
Der Sozialismus macht uns wirklich frei
von der Bedrückung durch das Kapital,
wenn wir erfüllen den Plan für das Quartal.

Trotzdem kein Fleisch, stattdessen nur Papier
mit Phrasen für das Klo,
das irritiert mich so.
Liebe Genossen, fern im Komitee
und im Politbüro —
warum bin ich nicht froh?
Herrschende Klasse ist ein schlimmes Los,
ich wär so gern die Führungsrolle los,
hätte gern statt dem großen Klassenhass
nur einen kleinen blauen Reisepass.

Ein Gedanke zu „Klagelied der herrschenden Klasse (No Milk Today)

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